Das ist eine schöne, aber auch schwierige Frage. Gibt es da wirklich nur ein einziges? Eher eins pro Lebensabschnitt, würde ich sagen. Und stelle ich nun das geliebte Buch aus Kindertagen vor oder einen Roman, der mich in der Pubertät fasziniert hat? Ich entscheide mich spontan für einen Autor, den ich durch Zufall früh kennenlernen durfte und der einer der ersten war, der in mir eine Club-der-toten-Dichter-artige Verehrung hervorrief: Tennessee Williams.

Auf dem Dorf in Oberfranken war nicht viel los, da passierte es schon mal, dass man an einem Abend beim „Rumzappen“ (so nannte man das in den 90ern!), wenn MTV oder VIVA nichts Interessantes zu bieten hatten (da lief tatsächlich noch Musik in den 90ern!!), auch als junger Mensch unvermittelt bei dem Kultursender arte hängen blieb. Es war eine Dokumentation anlässlich seines Todestages, durch die ich zum ersten Mal mit ihm und seinem Werk in Berührung kam. Sofort haben mich die tragischen Familienschicksale fasziniert sowie die herrlich fragilen Frauenfiguren, die alle immer ein bisschen zu schwach waren, um im Leben glücklich zu werden. Hallo Pathos, alter Freund!

TennesseViele werden sagen Die Katze auf dem heißen Blechdach ist Williams‘ Meisterwerk – dafür bekam er den Pulitzerpreis, und Elizabeth Taylor verdrehte der Generation meines Vaters in der Verfilmung gehörig den Kopf. Mich hingegen begeistert vor allem sein frühes Stück Die Glasmenagerie.

Es ist die Geschichte der Wingfield-Familie: Die ehemalige Südstaatenschönheit Amanda lebt mit ihrer gehbehinderten Tochter Laura und ihrem von seinem sinnlosen Job als Lagerarbeiter frustrierten Sohn Tom in einer kleinen Wohnung in St. Louis. Amanda ist enttäuscht von dem, was das Schicksal für sie vorgesehen hat. Laura lebt in einer Traumwelt und spielt am liebsten mit den zerbrechlichen Figuren ihrer Glasmenagerie. Tom, gleichzeitig der Erzähler des Stücks, hegt den Traum, Dichter zu werden. Er weiß, dass er dafür seine Familie verlassen muss und sie so in den Ruin stürzen wird: schließlich ist er der Haupternährer, seit sein Vater sich vor langer Zeit aus dem Staub gemacht hat.

Eines Abends lädt Tom seinen Arbeitskollegen Jim ein, der zu Schulzeiten Lauras heimlicher Schwarm war und der mit einer Heirat das Schicksal der verarmten Wingfield-Frauen zum Guten wenden könnte. Doch wird das passieren? Soll ich spoilern? Nur so viel: Jim zerbricht aus Versehen eine Einhorn-Figur aus Lauras Glasfigurenkabinett. Muss ich noch mehr sagen?

Aus heutiger Sicht möchte man den Williams‘ Figuren gerne ein „STELL DICH DOCH NICHT SO AN!“ entgegenbrüllen, aber warum denn so herzlos sein? Man darf schließlich nicht vergessen, dass die Stücke in den 30ern und 40er Jahren spielen. Die Welt war eine andere. Und das ist ja nun auch nicht der Sinn von Literatur! Sondern vielmehr, dass Geschichten erzählt werden, die einem ans Herz gehen. Und das tun Tennessee Williams‘  Stücke damals wie heute!

 

LBC Foto_Christina Knorr„Ich habe mich immer auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen!“, sagt Blanche Dubois in Endstation Sehnsucht.

Also: Seid nett zueinander auf der #LBC16!

Christina Knorr von Egmont