Mein Weg in die Seriensucht: »Der kleine Vampir«

Mai 25, 2016

Es ist nicht so einfach zu sagen, welches von den tausenden von Büchern, die ich inzwischen wohl gelesen habe, mein Leben am meisten verändert hat. Vermutlich war es nicht nur ein einzelnes Buch – alle zusammen haben mich und mein Leben so beeinflusst, dass auf jeden Fall ein anderer Mensch und ein anderes Leben dabei herausgekommen wäre, hätte ich das Lesen nie für mich entdeckt.

Jedenfalls ging es schon ziemlich früh los: Einmal abgesehen von den Büchern, die mir vorgelesen wurden, bevor ich selbst lesen konnte, war eines der ersten Bücher, das ich selbständig und freiwillig mit meinen neu erworbenen Erstklässler-Lesefähigkeiten angegangen bin, „Der kleine Vampir“ von Angela Sommer-Bodenburg. Und ich muss schwer beeindruckt und in Rekordzeit fertig gewesen sein, denn bis zum Ende meiner ersten Weihnachtsferien hatte ich bereits alle damals erhältlichen Bände der Reihe aus meinen Eltern herausgequengelt.

Vampirfoto

© Mama Erakovic

Die Geschichte kennt inzwischen wohl jeder – das Buch ist immerhin schon in der mindestens 50. Auflage seit es 1979 zum ersten Mal erschien. Aber kurz zusammengefasst: Anton ist zehn und liebt Krimis und Gruselgeschichten, erschrickt aber dennoch erst einmal fast zu Tode, als er eines Abends allein zu Hause ist und plötzlich ein Vampir auf seiner Fensterbank sitzt. Rüdiger war auch zehn, als er vor über 150 Jahren zum Vampir gemacht wurde und gilt unter Vampiren immer noch als Kind. Nach anfänglichen Missverständnissen, bei denen Antons geliebtes King Kong-Poster und einige Bücher Rüdigers Wutanfall zum Opfer fallen (Merke: Sage einem Vampir nie, dass du weißt, wie man sie töten kann), freunden sich die beiden an und bestehen viele Abenteuer miteinander, bei denen sie sich öfter mal gegenseitig das Leben retten müssen.

Gelernt habe ich von Anton und Rüdiger, dass Eltern nicht alles wissen müssen – es ist für beide Seiten oft besser so –, dass ein bisschen Gefahr (vor allem sicher verpackt zwischen Buchdeckeln) noch keinem geschadet hat und vor allem, dass Freundschaft das Wichtigstes auf der Welt ist.

„Der kleine Vampir“ war auch der Beginn einer sich über meine gesamte Kindheit erstreckende Seriensucht. Es war schrecklich, wenn ein Buch zu Ende war und man aus der liebgewonnen Welt wieder hinauskatapultiert wurde. Deshalb bevorzugte ich Bücher, die in Serienform daherkamen und die Geschichte also irgendwie weiterging. Natürlich habe ich auch Bücher gelesen, die etwas schwieriger, trauriger und unbefriedigender, aber vermutlich „besser“ waren als meine heißgeliebten Serien. Aber dass Lesen Spaß macht und man in Büchern Sachen erlebt, die es in der wirklichen Welt leider nicht gibt und dass man in (fast) jedem Buch etwas Nützliches erfährt, und sei es nur, dass auch Vampire Angst haben können, das hat mir „Der kleine Vampir“ beigebracht.

Aleksandra Erakovic studierte Anglistik und Romanistik in Köln, Cork und Barcelona. Auf der LBC wird sie von ihrem international-bunten, spannenden und oft kuriosen Arbeitsalltag in der Lizenzabteilung von Kiepenheuer & Witsch erzählen: »Bücher auf Weltreisen«