Das Schreiben und das Fliegen
Mario Giordano erinnert sich an seine Jugend zurück und erzählt, warum er ohne die Fliegerei nie ein Buch hätte schreiben können.
Der 15-jährige Mario Giordano bei seiner ersten Flugstunde
Am 23. Juli 1978 verstand ich, dass ich wirklich Autor werden könnte. Ich war 15 Jahre alt, träumte vom Erzählen als Beruf und hatte gerade meine „A-Prüfung“ abgelegt, die ersten Alleinflüge in einem Segelflugzeug vom Typ „Rhönlerche“. Als mein Fluglehrer mir über Funk durchgab, ich solle mal ein paar Linkskreise drehen, bin ich Rechtskreise geflogen. Weil ich der Pilot war. Gab einen Riesen Anschiss, klar, aber wenn man zum ersten Mal im Leben vollkommen Herr seiner eigenen Entscheidungen ist, spielt das auf einmal keine Rolle mehr.
Vor vielen Jahren raunte mir ein sehr bekannter Autor die drei Todsünden des Schreibens zu: Fange nie mit dem Tod an! Verrate nie am Anfang wie es ausgeht! Und vor allem: erzähle nie, niemals in Rückblenden! Ich so an meine A-Prüfung gedacht und ein Jugendbuch geschrieben das mit dem Tod beginnt, in dem ich gleich im ersten Absatz verrate wie es ausgeht, und das durchgängig in Rückblenden erzählt ist. Ist eines meiner erfolgreichsten Bücher geworden, inzwischen 21. Auflage, übersetzt, verfilmt, Schullektüre in Hamburg.
Blick aus dem Cockpit des Segelflugzeuges Typ „Rhönlerche“
Ohne die Fliegerei hätte ich nie ein Buch schreiben können. Starten, fliegen, landen. Anfang, Mitte, Ende. Jeder Flug ist eine Geschichte. Jedes Wochenende steht man mit anderen Nerds mit bescheuerten Hütchen auf einem abgelegenen Flugfeld rum, ohne jede Chance, irgendwen mit der ganzen Sache beeindrucken zu können. Coolness findet anderswo statt. Dafür kann man am Ende ein Flugzeug fliegen, was dann außerordentlich befriedigend ist.
Die Segelfliegerei ist mein Modell der täglichen Arbeit. Bis zur Landung müssen ständig kleine und große Entscheidungen getroffen werden, die Konzentration darf nicht nachlassen, Fehler müssen rechtzeitig korrigiert werden. Und das alles alleine und ohne dass irgendein Schwein dich dafür bewundert. Ich war nie das größte Fliegerass, aber darum geht’s nicht. Es geht darum, etwas zu tun, das frei und glücklich macht. Und das so gut man eben kann und so lange wie möglich.
Mario Giordano hat Psychologie in Düsseldorf studiert und gehört zu den vielseitigsten deutschen Unterhaltungsautoren. Er schreibt Romane, Jugendbücher und Drehbücher (u.a. »Tatort«, »Schimanski«, »Polizeiruf 110«, »Das Experiment«, »Apocalypsis«, »Tante Poldi«). Seit 2005 beschäftigt er sich intensiv mit digitalen, interaktiven Erzählformen. Für Bastei Lübbe entwickelt er seit 2012 neue digitale Unterhaltungsformate und war von Herbst 2014 bis Sommer 2015 als Leiter der Abteilung Content Development im Verlag tätig. Darüber hinaus ist er regelmäßiger Gastdozent an der Filmhochschule in Ludwigsburg.
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